Der Gletscher.
SNOWFARMING

Ein zweites Leben für den Gletscherschnee und Energieeinsparung
dank Schneedepots am Kitzsteinhorn

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ewahren und konservieren, statt schmelzen und neu erzeugen. Das ist die ressourcenschonende Devise des „Snowfarmings“ am Kitzsteinhorn. In großen Schneedepots wird so nicht nur eine Schneegarantie für den Frühwinter bewahrt, sondern gleichzeitig auch das Eis der Gletscherzunge am Kitzsteinhorn geschützt und Energie gespart.

Wortwörtlich übersetzt bedeutet Snowfarming das „Anbauen von Schnee“. Und so wie der Bauer sein Feld bestellt, aussät und die heranwachsenden Pflanzen bis zur Ernte hegt und schützt, so kümmert sich auch am Kitzsteinhorn ein Team unter Leitung des technischen Prokuristen Günther Brennsteiner und Pistenchef René Cizek um ihr „Pflänzchen“ Schnee.

Zehn Depots mit einer gesamten Schneemenge von 200.000 m³ übersommern so im Gletscherbereich des Kitzsteinhorns bis zum Start in die Wintersaison im Frühherbst. Dann ist Erntezeit der Schneedepots und der konservierte Schnee des letzten Winters sorgt für die perfekte Grundlage für rund 90.000 m² Pistenflächen – etwa eine Fläche von sieben Fußballfeldern.

Die Snowfarming-Crew

Gletscherschutz durch Schneedepots

Seit 15 Jahren betreibt man am Kitzsteinhorn das Snowfarming und in diesen eineinhalb Jahrzehnten konnte eine große Schneekompetenz aufgebaut werden, wie Günther Brennsteiner bei der Auffahrt mit dem Pistengerät zu den Schubarbeiten für das Depot erzählt: „Mit wissenschaftlicher Begleitung durch das OpAL Open Air Labor am Kitzsteinhorn haben wir die Schneedepots gestartet. Die Georesearch-Projektpartner der Technischen Universität München und der Paris Lodron Universität Salzburg standen uns bei der Entwicklung zur Seite und vermessen auch jährlich den positiven Nutzen der Depots für die Gletscherränder.“

Durch das Abdecken der Eisfläche an der Gletscherzunge konnte nicht nur ein weiteres Abschmelzen verhindert werden, in manchen Bereichen haben wir sogar einen Gletscherwachstum von bis zu zweieinhalb Metern verzeichnet.

Pistenchef René Cizek

Schnee abdecken mit Vlies und Nähmaschine

Gleich im Mai beginnen die Arbeiten für die strategisch gut verteilten Flächen der Schneedepots. Mit Pistengeräten wird der Schnee, der sonst abschmelzen würde,  zusammengeschoben und verdichtet. Pistenchef René Cizek ist mit dem Skidoo bereits unterwegs zum eben angeschobenen Depot an der Talstation des Schneehasen-Lifts, wo sich das erfahrene Team bereits versammelt hat.

„Idealerweise ist der Schnee noch nicht von der Sonne durchwärmt und zu Altschnee verwandelt. Dann erzielen wir die besten Ergebnisse beim Snowfarming. Unsere Mannschaft deckt heute die restliche Fläche des etwa 30.000 m³ großen Schneehasendepots mit Vlies ab, vernäht die Bahnen mit der Handnähmaschine und befestigt die Sandsäcke.“

Während zehn Männer die großen Vliesrollen von der Pistenraupe heben, erzählt Günther Brennsteiner: „Das Vlies wurde über die Jahre speziell für Schneedepots in Skigebieten entwickelt. Es ist enorm reißfest und reflektiert das Sonnenlicht. Bei starkem Regen sorgt die eingearbeitete Struktur, dass das Wasser geordnet und nicht als Sturzbach abfließt.“

Die frisch vernähten Vliesplanen schützen den Schnee

Damit das Vlies auch bei Sturm an seinem Platz bleibt, werden die vier Meter breiten Bahnen fest miteinander vernäht. Schneimeister und in diesem Fall „Vlies-Schneidermeister“ Stefan Bürgler weiß mit der Handnähmaschine bestens umzugehen. Gekonnt fädelt er die Fäden der zweispuligen Maschine ein und näht die überlappenden Vliesbahnen im Kettstich aneinander. „Im Herbst, wenn die Depots wieder vom Vlies befreit werden, löst man diesen Stich wie bei einem Kartoffelsack mit einem einzelnen Ruck am Faden. So können die gleichen Vliesbahnen bis zu vier Mal wiederverwendet werden“, verrät der Pistenchef und koordiniert sorgfältig das Auflegen der Bahnen auf dem großen Schneedepot. Handgefüllte Sandsäcke mit je drei Kilo sorgen an den Enden der Vliesbahnen für reichlich Ballast, damit sich die Vliesdecke auch bei Sturm nicht vom Depot hebt.

Das über die vielen Jahre angeeignete Snowhow und Wissensvorsprung im Snowfarming ist aber kein Firmengeheimnis, wie der technische Prokurist lachend verrät: „Gern geben wir unsere Erfahrung an andere Skigebiete weiter. Immer wieder bekommen wir Besuch von internationalen Delegationen, die sich unsere Depots und die Entstehung genau ansehen. Zudem wird an der Weiterentwicklung der Vliesqualität gearbeitet." Die ökologische Verträglichkeit der Geotextilien wurde über die Jahre in optimiert. Alpine Skiegebiete stellen sich gesammelt hinter den Gedanken, umweltfreundliche und nachhaltige Materialien zur isolierung von Schnee und Eis verwenden zu wollen. 

Skivergnügen auf „Schnee von gestern“

Etwa eineinhalb Monate dauert die Fertigstellung aller Schneelager für die gut eingespielte Mannschaft. Ist die letzte Vliesbahn vernäht, angebracht und beschwert, dann dürfen die Schneelager in den Sommerschlaf gehen. Danach kontrolliert René Cizek über die Sommermonate regelmäßig, ob das Vlies richtig sitzt oder sich Ballast-Säcke witterungsbedingt von der Plane gelöst haben.

Selbst bei warmen Temperaturen können bis zu 80 % des „angebauten“ Schnees über den Sommer konserviert werden und dienen im Herbst als perfekte Schnei-Grundlage, wie Günther Brennsteiner verrät: „Vor dem Saisonstart werden die Schneedepots abgedeckt und das Vlies bis zur Wiederverwendung aufgerollt und gelagert. Der Schnee wird mit den Pistengeräten dann auf kurzen Wegen verteilt.

Die Lager sind an neuralgischen Stellen positioniert, wo der Schnee für einen frühen Pistenstart gebraucht wird. Oft stimmt zu dieser Zeit das Verhältnis von Lufttemperatur, Luftfeuchte und Wassertemperatur noch nicht für eine maschinelle Beschneiung und der wiederverwertete Depot-Schnee sichert somit den Saisonstart. Idealerweise gibt es beim Verteilen des Schnees auch schon etwas Neuschnee, denn das Vermischen mit dem Altschnee gibt eine perfekte Unterlage für den ganzen Winter und bietet einen super Schutz für das Gletschereis.“

Schutz fürs Gletschereis

Das Erstellen der Depots ist für das Team zeit- und kraftaufwändig, doch spricht die Nachhaltigkeit und der positive Effekt für das Gletschereis deutlich für den Aufwand. Günther Brennsteiner berichtet: „Wissenschaftler des OpAL Freiluftlabors überprüfen jährlich mit Drohnenflügen den Gletscherabbau durch Klimaveränderungen.

Dank der Daten der Forschungspartner sehen wir nicht nur einen Stopp des Gletscherabbaus an den Bereichen der Depots, sondern an manchen Stellen wie den höher gelegenen Schneelagern sogar einen absolut erfreulichen Zuwachs der Gletschermasse. So konnte im Bereich des Ice Arena-Depots über acht Jahre ein Gesamtzuwachs von 2,5 Metern gemessen werden. Das motiviert uns, unser Snowhow auch weiterhin zum Schutz des Gletschers und einem möglichst ressourcenschonenden Start in den Winter einzusetzen und hilft, Strom zu sparen, da der Einsatz der Beschneiungsanlagen reduziert werden kann.“

 

Fakten
Snowfarming-Knowhow: seit 15 Jahren
Gesamte konservierte Schneemenge: 200.000 m³ in 10 Depots
Reicht im Herbst für: 90.000 m² Pistenfläche (7 Fußballplätze)
Errichtungsdauer: 1,5 Monate mit einem Team von 10 Personen
Höchstgelegenes Depot: auf 2.900 m bei Ice Arena
Gletscherzuwachs: bis zu 2,5 Meter im Depotbereich